Ordoliberale Grundaussagen

Zehn Grundaussagen der Freiburger Ordnungsökonomik

Von Nils Goldschmidt und Michael Wohlgemuth
Es versteht sich für eine lebendige Forschungstradition von selbst, daß sie kein endgültig abgeschlossenes und unveränderliches Lehrgebäude dogmatisch
verteidigt. Dennoch gibt es Grundthemen und -aussagen, die bereits in den 1930er Jahren in Freiburg formuliert wurden und noch heute innerhalb der Freiburger Denktradition, wenn auch nicht in allen Implikationen unverändert, als zentrale Leitideen wirken. Die folgenden zehn Grundaussagen geben einen allgemeinen Grundriss dessen ab, was aus unserer Sicht als „Freiburger Denkstil“ gelten kann.

1. Im Mittelpunkt der Ordnungsökonomik stehen die Analyse der gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Ordnung und Vorschläge zu deren Gestaltung.

2. Die Gestaltung der wirtschaftlichen Ordnung ist als Gegensatz zu politischen Interventionen in den Markt zu verstehen: Ziel der Ordnungsökonomik ist die Bildung und Durchsetzung allgemeiner „Spielregeln“, nicht der Eingriff in den Spielverlauf.

3. Vordringlichste Aufgabe der Spielregeln einer Wirtschaftsverfassung ist der Schutz offener Märkte in einer Wettbewerbsordnung. In diesem Sinne ist der Wettbewerb eine „staatliche Veranstaltung“, da er seine Voraussetzungen nicht selbst schaffen und garantieren kann.

4. Der Dynamik gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen wird am besten dadurch Rechnung getragen, dass „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“
(Friedrich A. von Hayek) verstanden wird. Die Ordnung der Wirtschaft und deren Regeln sollten also durch eine weitgehende Offenheit und Allgemeinheit gekennzeichnet sein, die Raum für individuelle Entfaltungs- und Lösungsmöglichkeiten lässt.

5. Maßstab für die „Güte“ einer wirtschaftlichen Ordnung sind die Vorstellungen und Präferenzen der Mitglieder einer Gesellschaft. Die Regeln des Wettbewerbs sind an diesen gemeinsamen Interessen der Individuen auszurichten.

6. Folglich geht es im Unterschied zur Politik eines „laissez-faire“ nicht um das freie Spiel der Marktkräfte per se, sondern um die Gestaltung der Regeln für den Wettbewerb im Sinne der Konsumenten. In diesem Verständnis ist Wettbewerb ein Mittel zur Gestaltung sozialer, d.h. gesellschaftlicher Zwecke.

7. Jede spezifische Wirtschaftspolitik ist Teil einer umfassenden Ordnungspolitik. Anstelle eines fallweisen „Ausbalancierens“ wirtschaftlicher und sonstiger gesellschaftlicher Ziele geht es um eine integrative Verknüpfung auf der Ebene der Wirtschaftsverfassung. Die Ausgestaltung der Wettbewerbsordnung soll und kann damit auch etwa Ziele der Sozialpolitik, des Umweltschutzes, oder der Generationengerechtigkeit unter der Maßgabe der Wettbewerbskonformität in einer allgemeinen ordnungspolitischen Konzeption zusammenführen.

8. Grundlegendes Kriterium zur Sicherung einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung
ist die konsequente Zurückdrängung von Priviliegiensuche einzelner Gruppen und Sonderinteressen. Die Verhinderung wirtschaftlicher Machtpositionen, wie sie in Monopolen und Kartellen zum Ausdruck kommt, ist ein konstitutives Merkmal ordnungsökonomischen Denkens. Es soll „Leistungswettbewerb“ gewährleistet werden, der den Akteuren gerade dann Erfolg verspricht, wenn sie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zugunsten der Bedürfnisse anderer bestmöglich nutzen.

9. Neben der Ordnung der Wirtschaft bedarf es auch einer funktionsfähigen und freiheitsschützenden Ordnung des politischen Systems. Moderne Ordnungsökonomik muß sich deshalb auch mit den Ordnungsprinzipien und Prozessen für einen politischen Leistungswettbewerb beschäftigen, der gerade diejenigen kollektiven Entscheidungen prämiert, die den gemeinsamen Bürgerinteressen entsprechen.

10. Ordnungsökonomik ist somit letztlich ein interdisziplinäres, sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm, das auch im sozialethischen Diskurs Position beziehen kann. Wirtschaftliche Fragen sind Teilfragen des gesamten gesellschaftlichen Lebens, eingebettet in die jeweiligen institutionellen und kulturellen Gegebenheiten. Eine erfolgversprechende Gestaltung und Ordnung der Wirtschaft muß diesen umfassenden Bedingungen Rechnung tragen.

Aus: Goldschmidt, N., Wohlgemuth, M. (Hrsg.), 2008, Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, Mohr Siebeck, Tübingen, S. 13-14.